„Der Ausstellungsband der Kokufu-Bonsai-Ten 2005, der 79. Nationalen Japanischen Bonsaiausstellung“

Auch dieser Band entspricht in seinen vielgelobten Qualitäten seinen Vorgängern und bedürfte deshalb keiner neuerlichen Empfehlung. Ich habe mich aber dennoch zu einer Darstellung meiner Art der Betrachtung dieses Bildbandes entschlossen, weil ich Ihnen diesmal zwei der wunderbaren Bonsai auch im Bild näher vorstellen kann.

 

Kokufu_79.jpg Einen Bildband zu rezensieren ist immer ein wenig wie eine Oper vorpfeifen zu wollen, es fehlen die Bilder. So habe ich den Bildern auf dieser Seite etwas Raum gegeben und der Text soll das von mir Gesehene in Worte fassen.
Beide Bonsai fallen in die Kategorie „Important Bonsai Masterpiece“, sind also nach den Kriterien der japanischen Juroren würdig, den Titel „Bedeutendes Meisterwerk“ zu tragen. Was adelt nun diese beiden doch auf den ersten Blick so verschiedenen Bonsai? Was lässt die Kiefer gegenüber dem Wacholder noch ein Treppchen mehr erklimmen und den Kokufu-Preis gewinnen? Schauen wir uns die beiden einmal genauer an!

kokufu_79_24.jpg Der Chin. Wacholder, 72 cm breit, in der wegen des ausgezeichneten Laubes geschätzten Varietät Sargentii, ist ein außergewöhnliches Stück. Die Formgebung ist, alle anderen Aspekte dominierend, überaus spektakulär. Ich kenne keinen anderen Bonsai, der die Pfeilform so rein präsentiert. Die Halbkaskade stürzt in einem Winkel von 45° von rechts oben nach links unten in die Tiefe. Wie ein Adler, der, seine Beute im Visier, kurz vor dem Zuschlagen seine Schwingen öffnet, um im letzten Moment abzubremsen, stechen mehrere lange Jin oberhalb aus der Krone. Sie treten durch diese hindurch und bilden sozusagen die Pfeilspitze, die etwa auf Höhe der Schalenbasis endet. Dieser untere Stammteil trägt als einziger eine lebende Saftbahn. Im Gegensatz zu der dynamischen Diagonale der Jin und des Stammes bildet die einfache Kuppelkrone eine stabile Masse, die nach links versetzt in enger Verbindung zur würfelförmigen Schale steht. Diese beiden Elemente erden den Bonsai. Ein weiteres wichtiges Element der Gestaltung, das dieses explosive Design zusammenhält, sind die oberen Jinspitzen, die mit ihren hakenförmigen Enden das Auge immer wieder in die Sturzbewegung führen und dadurch gleichzeitig die obere Grenze des Bonsai markieren. Ein Baum der starken Effekte.


kokufu_79_32.jpg Nun zur Jap. Schwarzkiefer. Wie gesagt ist sie der diesjährige Kokufu-Preis-Gewinner in der Kategorie Nadelbäume. Nur die beiden Preisträger (der Laubbaum ist eine exzellente Hainbuche) werden vor einem dunklen Hintergrund fotografiert, wodurch der Betrachter nicht wie vor einem weißen Hintergrund mit scharfen Kontrasten konfrontiert ist. Die Szene wirkt geheimnisvoller. Bei dieser Schwarzkiefer kann man selbst auf dem Foto einen ausgezeichneten Pflegezustand erkennen. Die Nadeln sind sehr kurz, ohne unnatürlich zu wirken. Der Aufbau ist klassisch klar, die Rinde borkig, das ganze Erscheinungsbild kräftig und kompakt. Ein Baum wie ein Mann! Dieser Bonsai strahlt eine tiefe Ruhe, eine zeitlose Sicherheit aus. Ein Meisterwerk der Bonsaikultur, ohne Zweifel, aber, mit Verlaub gesagt, mir fehlt etwas. Das was der oben beschriebene Baum fast im Übermaß hat, ist bei dieser Kiefer über das Foto nicht zu spüren: Lebendigkeit. Mag sein, dass mich der Baum im direkten Kontakt berühren würde, seine Abbildung regt wenig an. Damit steht diese Kiefer ganz in der alten Tradition des Bonsai. Akkurate Bearbeitung, keine Effekte und keine Experimente in der Form.
Die beiden vorgestellten Bonsai sind quasi Antipoden in der Bonsaiwelt. Sie vertreten die progressive und die regressive Seite dieser Kunst und spannen uns so ein weites Feld der Möglichkeiten auf.

286 Seiten, 26 cm x 25 cm, durchweg farbig, Hardcover, Schuber, 99,– Euro