Haiku fotografieren von Martin Timm

Ein neuer Ansatz für die Naturfotografie

von Martin Timm

Nachgelesen von Tom Heyken

So ein Quatsch! Haikus kann man gar nicht fotografieren, wie soll das denn gehen?
Die zarte Andeutung, die Beschreibung des Moments, der in seiner offensichtlichen Einfachheit mehr Komplexität anbietet als die Menge an Zeichen erahnen lässt. Noch dazu (zumindest in der traditionellen Version) immer der Bezug auf eine Jahreszeit, die durch bestimmte Kigos (Schlüsselworte) definiert ist. Um dann, zumindest denen, die es wollen, aus einem subjektiven Erleben eine nachvollziehbare Erfahrung zu schenken.

Der Fotograf Martin Timm hat aus seinem persönlichen Erleben einiger Grundansätze der japanischen Ästhetik eine Fotografie entwickelt, deren Ansatz fernab persönlicher Bewertung interessant erscheint.
Martin Timm zeichnet jeden Tag einen Enso –  einen Tuschekreis, der die Leere umschliesst. Diese tägliche Übung schlägt sich in seiner Bildgestaltung nieder, der innere Freiraum wird ihm wichtiger, das „Zentrale“ steht häufig am Rand.
Der Begriff Wabi-sabi leitet ihn zu einer anderen Bewertung des Objekts seiner Fotografie. Nicht das „Schöne“ ist Ziel seines Blicks, sondern das Unperfekte, sich im Fluss der Zeit befindliche. Da können verwelkende Blüten wichtiger werden als imposante Landschaftskonturen. Genauso versucht er, auf hochkorrigierte Optiken zu verzichten, also möglichst einfaches Handwerkszeug zu benutzen.
Das Haiku begreift er als eine Aussage, die nicht länger als einen Atemzug dauern soll. Nun ist Fotografie in der heutigen Zeit das schnelle Gegenteil eines Atemzugs. Schon ein Zeitmaß eines Augenzwinkerns kann ein Motiv zur Unkenntlichkeit verstellen. Für Martin Timm kein Makel, denn er bewertet das Erleben des Moments des Fotografierens als mindestens ebenso wichtig wie das Ergebnis. Das führt zu Bildern, die sich dem gewohnten Erleben versperren. Und allein dadurch eines Blicks würdig sind.
Nicht alle Fotos erzählen jedem ihre Geschichte, und auch das Gesamtkonzept ist nicht stringent durchgehalten, aber eventuell ist es ein Ansatz, der auch Bonsaifreunden und -freundinnen weiterhelfen kann, ihr Hobby anders zu erleben.

Das Buch „Haiku fotografieren“ ist im fotoforum-Verlag erschienen. 168 Seiten, viele Farbfotos, Hardcover mit Teilleinen, 29,90 Euro, www.fotoforum.de/shop

Einblicke in die Philosophie gibt es auch unter
www.timmfotografien.de

Dieser Artikel erschien in der BONSAI ART 139