von Helena Attlee mit Fotografien von Alex Ramsay

Etwas irritiert betrachtet man den Schutzumschlag dieses mittelgroßen Bildbandes. Nicht sofort erschließt sich, was auf diesem überwiegend grauen Foto, ergänzt durch wenige weiße Tupfen, die drei braune Elemente umgeben, eigentlich abgebildet ist. Dann erkennt das Auge die typische Struktur der trockenen Lotosfrucht eingefasst von Kirschblütenblättern, die auf dem grauen Wasser treiben.

„Der japanische Garten. Eine Reise in Bildern“ von Helena Attlee mit Fotografien von Alex Ramsay Es ist sicherlich kein Zufall, dass dieses fast abstrakte Foto an den Bildband heranführt. Es ist ganz klar und doch geheimnisvoll, in seinen wenigen Elementen jedoch hochgradig symbolisch aufgeladen: Lotos ist vollkommen, rein, unberührt, göttlich, im Kontrast zum trüben Wasser. Die Kirschblüte steht für Schönheit, Aufbruch und Vergänglichkeit, die auch die trockene Kapsel des Lotos spiegelt. Diese Attribute werden auch dem idealen Jap. Garten zugeschrieben. Der Titel dagegen stapelt einerseits tief – „Der japanischen Garten“ sagt nicht viel. Andererseits spannt er die Erwartungen hoch, indem er suggeriert, etwas Wesentliches und Allgemeingültiges über den Jap. Garten – den es ja bekanntermaßen nicht gibt – aussagen wird. Da haben sich die Autoren eine nicht unbescheidene Aufgabe gestellt.
Auf 136 Seiten stellt das fast quadratische Buch 28 Gärten im mittleren und südlichen Japan vor, wovon 20 in Kyoto den Schwerpunkt bilden. Reist man also in die alte Kaiserstadt an den Flüssen Kadsura und Kamo, leistet dieses Buch gute Dienste, um die dortigen Gärten in ihren Grundzügen zu verstehen und einzuordnen. Trotz des Formates von etwa 25 cm x 25 cm ist das Buch eigentlich kein Bildband, sondern eher ein Reiseführer zu den behandelten Gärten. Allerdings ist es wohl etwas unbequem mitzunehmen, so dass es vielleicht zur Vor- oder Nachbereitung der Besuche im Hotel vorgesehen ist. Das im Genre übliche kleine Format wurde jedoch wahrscheinlich überschritten, um die großartigen Abbildungen angemessen darstellen zu können.
Das Autorenteam hat alle Orte selbst aufgesucht, Frau Attlee hat mit den Mönchen und Gärtnern gesprochen und Herr Ramsey wirklich überzeugende Fotografien geschaffen. Sie nehmen den persönlichen Standpunkt, den der Besucher aus seiner eigenen Perspektive vor Ort findet, vorweg und schaffen so einen frischen Zugang zu altbekannten Szenen. Dabei geht der Fotograf bei Motiv und Ausschnitt oft mutig und ohne übermäßigen Respekt vor traditionellen Herangehensweisen vor. Manchmal entscheidet er sich für den klassischen Blick, den festgelegten Bildrahmen, oft jedoch wählt er einen kleineren Ausschnitt, hebt ein Detail oder eine besondere Perspektive hervor oder lässt einfach ein vermeintlich unverzichtbares Bild komplett weg. So findet man z.B. auf den Seiten des Saiho-ji, der den ältesten Trockenwasserfall des legendären Muso Soseki beherbergt, diesen nicht abgebildet! Im Text erwähnt, muss sich der Besucher auf den Weg machen, um ihn im alles überwuchernden Grün des Moosgartens zu finden. Für mich ist das kein Mangel, sondern eher ein Spannungsmoment, in dem das Verbergen als Stilmittel zum tragen kommt.
Nun noch zu den Texten von Helena Attlee. Sie orientiert sich an den Bedürfnissen des Reisenden, namentlich ihren eigenen. Das ist kein Nachteil. Die Autorin hat sich viel Wissen angelesen und ist in der Gartenkunst allgemein gebildet. Für ihre eher kurzen Texte folgt sie beschreibend ihrem Weg zu und durch die Gärten. Sie ist eine Kennerin des Ganzen und der Details. Auch hier dominiert das Prinzip des Weglassens mit dem Gewinn an Spannung und offenen Fragen.
Das Buch „Der japanische Garten“ durchzublättern, ist selbst wie ein solcher. Man kann sich an seiner oberflächlichen Schönheit erfreuen, es als Reiseführer nutzen oder selbst darin auf die Suche gehen. Wie ich am Schutzumschlag exemplarisch versuchte zu zeigen, ist mancher Schatz versteckt in diesem Buch, den es zu heben gilt. Vor allem die Bilder und wie sie – auch zueinander – arrangiert sind, enthalten viel von dem, was die Autoren in Japans Gärten gesehen und verstanden haben. Sie zeigen es, ohne es akademisch zu erklären, und vermitteln in diesem wunderbaren Buch ein fast authentisches Gefühl davon, wie es ist, durch diese Gartenkunstwerke zu wandeln.

Der japanische Garten. Eine Reise in Bildern von Helena Attlee mit Fotografien von Alex Ramsay
136 Seiten, 25 cm x 27 cm, Hardcover mit Schutzumschlag, ca. 100 Farbfotos, 49,99 Euro

Erschienen in BONSAI ART 113