Rezension von Chefredakteurin Heike van Gunst
Der Franzose Laurent Darrieux hat mit seinen äußerst ungewöhnlichen Bonsai-Gestaltungen und Präsentationen in den letzten Jahren für einiges Aufsehen in der internationalen Bonsai-Szene gesorgt.
In seinem auf Französisch und Englisch erschienenen Buch erklärt Darrieux die Hintergründe des „Cosmic Bonsai“-Stils und dokumentiert Techniken und Entwicklungsgeschichten.
„Cosmic Bonsai – Burton Style“, Laurent Darrieux, Eigenverlag 2020, in Englischer Sprache, 136 Seiten, Format 21 x 29 cm, Hardcover, Preis 45,– EUR. Art.-Nr. 3303 >> Buch kaufen
Den Besuchern der European Bonsai San Show in Saulieu 2018 und der Trophy 2020 in Belgien wird Darrieux' Präsentation einer verzwirbelten Ulme mit Roboterfiguren und Atompilz-Foto deutlich in Erinnerung geblieben sein. Nicht jeder Betrachter konnte sich mit dem Anblick anfreunden und die Absichten des Künstlers nachvollziehen.
Das Buch, das der 1973 geborene Darrieux, durch ein Internet-Crowdfunding finanziert und nun veröffentlicht hat, erklärt die Entstehung und Bedeutung dieses Bonsai-Stiles und dokumentiert die Gestaltung bekannter Exponate mit aufschlussreichen Fotos.
Der Einfluss düsterer Science-Fiction-Comics und die Angst und Sorge, die Umweltzerstörung und Klimawandel schon beim jugendlichen Darrieux ausgelöst haben, waren Inspiration für die neuartigen Bonsai, mit denen er auf die angespannte Situation der Erde, Natur und Menschheit aufmerksam machen möchte. Manche seiner skurrilen Baumgestalten sollen wirken, als wären sie mutierte Überlebende einer Atomkatastrophe, die nur noch von Robotern gepflegt werden, nachdem die Menschheit sich selbst ausgelöscht hat.
Der nach dem amerikanischen Zeichner und Filmregisseur Tim Burton benannte Burton Style wurde seit 2006 von Laurent Darrieux und Hervé Dora geprägt, zwei französischen Künstlern und Bonsai-Gestaltern, die sich zur Avantgarde zählen.
Auch in Japan hat der dort „Kozumikku“ genannte Cosmic-Stil bereits seine (eher jüngeren) Anhänger. Anders als alle anderen bekannten Bonsai-Stile, die danach trachten, natürliche Baumformen darzustellen, dreht sich der Cosmic oder Burton Style darum, Gewächse zu erschaffen, die auf imaginären Planeten existieren könnten und scheinbar keinen irdischen Gesetzen gehorchen.
Dafür werden zum Beispiel sehr lange Triebe in komplexe Formen gedrahtet und durch Skarifikation, das immer wiederholte Entfernen schmaler Rindenstreifen, eine besondere Totholzstruktur und Vernarbung erzeugt. Die Techniken sind dabei weitestgehend dieselben, die bei der Gestaltung von traditionellen Bonsai zum Einsatz kommen. Der Burton Style ist jedoch der einzige Stil, der ausdrücklich keine Vorbilder in der Natur unserer Erde hat.
Das Buch von Darrieux ist kein übliches Bonsai-Lehrbuch, auch wenn es einige Techniken zeigt, sondern es dreht sich darum, die Hintergründe dieses neuen Bonsai-Stiles, die Intentionen des Autors und die Aussagen seiner Bäume und Präsentationen zu erklären.
Es ist ein lesenswertes und interessantes Buch mit vielen guten Fotos und Zeichnungen von traditionellen und „kosmischen“ Bonsai, gezeigt werden außerdem künstlerische Bonsai-Schalen, Beispiele von fraktaler Geometrie* und einiges mehr. Das Entsetzen über den Umgang des Menschen mit der Natur ist ein roter Faden, der sich offensichtlich durch das Leben von Darrieux zieht und auch durch sein Buch.
Nicht jeder wird den Cosmic Bonsai bzw. Burton Style lieben, aber nach der Lektüre dieses Buches kann man ihn besser verstehen und respektieren. Vielleicht mit dem leisen Bedauern, dass auf diese Weise Bonsai nicht die kleine heile Welt ist, in der wir uns erfreuen und von den bedrückenden Problemen der Menschheit abschalten können.
*Die fraktale Geometrie, ein relativ neues Teilgebiet der Mathematik, beschäftigt sich mit geometrischen Objekten, die keine ganzzahlige Dimension besitzen, den sogenannten Fraktalen. Ein bekanntes Beispiel ist das Apfelmännchen.
(HvG)