Dekorative Malerei aus dem japanischen Mittelalter im Daikakuji-Tempel

von Gudrun und Willi Benz †

Die traditionelle japanische Malerei
in ihren verschiedenen Stilen ist nur zu verstehen im Zusammenhang mit den Besonderheiten der traditionellen japanischen Architektur.
 

 Ähnlich wie in Europa wurden Bilder (Malereien) von mächtigen Herrschern (Shogune, Daimyos = Feudalherren), Mitgliedern der kaiserlichen Familie und anderen Adligen sowie reichen Klöstern und später von vermögenden Kaufleuten in Auftrag gegeben. Zur Demonstrierung ihrer Macht bzw. ihres Reichtums ließen sie sich Burgen, Schlösser bzw. Paläste und andere luxuriöse Gebäude errichten. Die meisten der Gebäude, auch der Innenbereich der Burgen, waren aus Holz erbaut, der Wohnhausarchitektur des Shoin-Zukuri-Stils entsprechend.

Eingangsbereich des Daikakujitempels mit einer elegant gestalteten KieferEingangsbereich des Daikakujitempels mit einer elegant gestalteten Kiefer

Der Shoin-Zukuri-Stil ist eine Architektur, bei der die Räume durch Schiebetüren (sogenannte fusuma), Schiebewände (shoji) und Stellschirme (byobu) sowie den Fußboden bedeckende Strohmatten (Tatami) bestimmt bzw. gegliedert werden. Schiebetüren (Fusuma) sind bewegliche Trennwände aus einem Holzrahmen, der von beiden Seiten mit dickem Papier bespannt ist. Sie bilden meist ein Set von vier und dienen als Trennung zwischen Räumen oder zwischen einem Raum und einem Korridor. Fusuma sind ziemlich breit, und Vorder- und Rückseite bilden einen wichtigen Teil der Gebäudeinnenfläche für Malereien. Diese Fusuma bilden eine schöne Innendekoration, besonders mit reicher und farbenfroher Malerei im Stile der Kanoschule in meist fortlaufenden Kompositionen.

Fig2
In der Einganghalle des Tempels wurden die Besucher mit diesem riesigen Ikenobo-Arrangement (ca. 2 m breit) begrüßt. Dahinter befindet sich ein prächtiges Gemälde im Kano-Malstil.
 
In den Burgen der Feudalherren diente ein zentrales Gebäude mit Audienzsaal und Versammlungsraum (omote) zu offiziellen Angelegenheiten bzw. Festlichkeiten. Die Räume waren mit Tatamimatten ausgelegt, Wandpaneelen und Schiebetüren mit Malereien geschmückt und Nischen und Regale mit Kunstgegenständen ausgestattet. Die Kunstgegenstände des Kaiserhofes bzw. der Shogune standen unter der Verwaltung von Beamten und entsprachen dem Rang und den finanziellen Mitteln der Besitzer. Auf diese Weise entstanden hervorragende, katalogisierte Kunstsammlungen mit großartigen Tuschemalereien, Kalligraphien, Porträts, Dokumentationen historischer Fakten wie geschichtsentscheidende Schlachten, aber auch deskriptive Bilder des Alltags und Naturdarstellungen.  
 
Gebäude des Tempels sind über ein weites Areal verteilt, wobei sich zwischen den Gebäuden verschieden gestaltete Gartenteile befinden.   
Gebäude des Tempels sind über ein weites Areal verteilt, wobei sich zwischen den Gebäuden verschieden gestaltete Gartenteile befinden.   


Anders jedoch als in der westlichen Welt wurden diese Bilder zumeist nicht als Gemälde in prunkvollen Rahmen aufgehängt, sondern die weltliche japanische Malerei wurde von frühester Zeit an zur Ausschmückung von Paneelen verwendet, während Rollbilder für die Tokonoma verwendet wurden. Religiöse Malereien wurden für den gleichen Zweck in buddhistischen Klöstern benutzt. Die baulichen Freiflächen der großen Häuser der Adligen und Feudalherren wurden mit Malereien gefüllt. Der Name Sho-Heki-Ga wird allgemein als Sammelbegriff verwendet, der Malereien an Wänden, Schiebetüren und Wandschirmen einschließt. 
 
Ganz aus Holz gebaute Wandelgänge verbinden die Gebäude.
 Ganz aus Holz gebaute Wandelgänge verbinden die Gebäude.

Die Stellschirme /Faltschirme (byobu) erscheinen in großer Zahl während der Momoyama-Zeit (1338 – 1600) und der folgenden Tokugawa- oder Edo-Zeit (1603 – 1867), dem japanischen Mittelalter. Ihre außerordentlich Schönheit trug zur luxuriösen Umgebung bei. Normalerweise ist ein sechsteiliger Schirm ungefähr 1,5m  hoch und 3,6m lang und gibt genügend Fläche für die kräftigen und sehr dekorativen Kompositionen der Kanoschule, die in ihren Themen auf die traditionelle chinesische Malerei zurückgriff, diese jedoch zu einer typisch japanischen Ausprägung weiterentwickelte.   
 
Luckenartige Öffnungen gewähren Einblick auf farbenfrohen Malerei auf Schiebewänden. Sie können durch gitterförmige Holzfenster geschlossen werden.  
Luckenartige Öffnungen gewähren Einblick auf farbenfrohen Malerei auf Schiebewänden. Sie können durch gitterförmige Holzfenster geschlossen werden.
 
Der Stil der Kano-Schule ist eine Kombination des Yamato-e- und des Suiboku-Stils.
 
Der Yamato-e-Stil arbeitete mit delikaten und präzisen schwarzen Pinselstrichen, die reich mit Farben gefüllt werden, und erzielte Genauigkeit und effektvolle Farbharmonie. Auf vielen Rollbildern mit erzählendem Charakter ist der Übergang von einer Szene zur anderen und die Vergänglichkeit der Zeit mit Schriftzeichen in schöner, oft sehr expressiven Kalligraphie zwischen den Bildern eingefügt. (Typisch ist auch die spezielle Darstellung von Zwischenräumen zwischen Bildern, um den Wechsel des Ortes oder Zeitwechsel wiederzugeben. Sie besteht in einem Muster mehrerer langer Striche oder kann eine ausgewogene halbrunde Form sein.) 
 
Gartenteil mit Blick auf zwei Gebäude mit typischer Dachgiebelkonstruktion 
Gartenteil mit Blick auf zwei Gebäude mit typischer Dachgiebelkonstruktion
 
Der Suiboku-Stil vereint in sich den strengen schwarzen Pinselstrich der monochromen Malerei und die einfachen Formen von Zen. Die Suiboku-Malerei verleiht der Linie einen ganz unterschiedlichen Wert.  Im Gegensatz zu den einfachen Umrisslinien des Yamato-e-Stils, mit oder ohne Farbe, variiert die Linie bei Suiboku mit dem langsamen oder schnellen Pinselstrich. Die Linie wurde so ein wesentliches Ausdrucksmittel mit unendlich vielen Abstufungen von Schwarz anstelle der Farbe. Die Suiboku-Kunst geht auf die Zenkünstler zurück, die die geistige Harmonie in Schwarz und Weiß sahen und alle Farben mit Schwarz wiedergaben im Einklang mit der Lehre des Zen-Buddhismus.    
 
Blick in ein Gebäude, das die besondere Innenarchitektur traditioneller japanischer Bauweise mit Schiebewänden erkennen lässt.
Blick in ein Gebäude, das die besondere Innenarchitektur traditioneller japanischer Bauweise mit Schiebewänden erkennen lässt.  
 
Bei der Kanoschule wurden die beiden Stile gekonnt verbunden, und ihre Künstler schufen eindrucksvolle Kompositionen von großer Pracht mit leuchtenden Farben zwischen kräftigen schwarzen Strichen.
 
Viele der bedeutendsten Werke der Kanofamilie sind auf Wandpaneelen bzw. –schirmen aufgebracht. Prachtvolle Landschaften, Pflaumenbäume mit Blüten, alte Kiefern und andere Pflanzen wie Päonien, Iris, Bambus u.a., fantastische Felsgebilde und eine breite Palette von farbenfrohen Vögeln waren meist ausdrucksstark abgebildet. Viele der Kano-Kompositionen sind ohne natürlichen Hintergrund ausgeführt.
 
Diese Abstraktion hebt das Hauptobjekt hervor, ohne durch unnötige Details abzulenken. Ein Thema, wie z. B. eine knorrige alte Kiefer, wird ohne ihre natürliche Umgebung wiedergegeben. Sie verursacht beim Betrachter einen natürlichen inneren Impuls zu tiefer gehenden Gedanken, da man nicht zu sagen vermag, ob die Kiefern auf einer Klippe über dem Meer steht oder sich auf einem entlegenen Berggipfel befinden. Die Komposition eines Schirms kann entweder in unabhängigen Bildern oder als eine (Bild-) Abfolge ausgeführt werden. Einerseits ist die Bildkomposition durch ein unabhängiges Bild auf jedem Schirm wiedergegeben oder andererseits durch zusammenpassende oder verwandte Bilder oder ein fortlaufendes Bild, das sich über die ganze Länge auf beiden Seiten des Schirmes erstreckt. 
 
Im Daikakujitempel sind beide Stilrichtungen der Kanomalerei zu finden, einerseits die an den  Suiboku-Stil angelehnte Tuschemalerei und andererseits die an den Yamato-e-Stil angelehnte Farbmalerei. Die hier zu sehende schwarz-weiße Tuschemalerei kommt mit wenigen Pinselstrichen aus. Das Bildmotiv zieht sich über 4 Schiebetüren: Ein Raubvogel schlägt einen Fasan, während ein zweiter entkommen kann (4. Paneele). Die Landschaft ist mit nur wenigen Strichen umrissen.
Im Daikakujitempel sind beide Stilrichtungen der Kanomalerei zu finden, einerseits die an den Suiboku-Stil angelehnte Tuschemalerei und andererseits die an den Yamato-e-Stil angelehnte Farbmalerei. Die hier zu sehende schwarz-weiße Tuschemalerei kommt mit wenigen Pinselstrichen aus. Das Bildmotiv zieht sich über 4 Schiebetüren: Ein Raubvogel schlägt einen Fasan, während ein zweiter entkommen kann (4. Paneele). Die Landschaft ist mit nur wenigen Strichen umrissen.  
 
Viele der schönsten Schirme bzw. Paneelen haben einen Plattgoldhintergrund, der einen reichen und eleganten Kontrast zu den kräftigen Farben bildet. In der Weise, wie die relativ großen Goldblättchen aufgetragen sind, bilden sie eine schöne (Farb-)Abtönung, die allgemein als genji-gumo  oder „goldene Wolken“ bezeichnet wird. Der graduelle Übergang von einem Goldfarbton oder Goldschattierung zur anderen vermittelt das Gefühl von Weichheit und von dreidimensionaler Tiefe. 
 
Hinter einer Hofdame in traditioneller Kleidung (Puppe) sind zwei Kranichpaare in   Tuschemalerei abgebildet. Die beiden Bilder sind durch eine weißflächige Paneele   voneinander getrennt.
Hinter einer Hofdame in traditioneller Kleidung (Puppe) sind zwei Kranichpaare in   Tuschemalerei abgebildet. Die beiden Bilder sind durch eine weißflächige Paneele   voneinander getrennt.

Die Kano-Schule beginnt in der Muromachi-Zeit. Ihr Gründer war Kano Masanobu (1434 – 1530), der in Kyoto in einer adligen Familie geboren wurde. Seine Schule erlangte in der Folgezeit eine vorherrschende Stellung in der japanischen Malerei, die bis zum Ende des Tokugawa-Shogunats andauerte. Die Malerei der Kano-Schule spiegelt einen typischen Stil wider, der eine entscheidende Rolle in der japanischen Ästhetik spielt. Der große Einfluss der Kanoschule liegt auch darin, dass viele ihrer Maler offiziell entweder im Dienst der Tokugawa-Regierung oder Feudalherren standen. Diese Stellung, zusammen mit dem von diesen Dienst abgeleiteten Prestige, sicherte den andauernden Erfolg dieser neuen erblichen Malakademie.  
 
Das Motiv eines fliegenden Kranichs in Tuschemalerei zieht sich über zwei Schiebewände.
Das Motiv eines fliegenden Kranichs in Tuschemalerei zieht sich über zwei Schiebewände.
 
Im November 2008 besuchten wir den Daikakuji-Tempel im Arashiyama-Bezirk im Nordwesten von Kyoto  (nicht zu verwechseln mit dem Daitokuji, dem Tempelkomplex im Norden Kyotos). Kyoto war ab 794 n. Chr. über 1000 Jahre Kaiserstadt und ist heute noch die führende Kunststadt in Japan. Die Tempelanlage des Daikakuji, eine ehemalige Kaiserresidenz, die von Kaiser Saga bereits 876 n. Chr. in ein buddhistisches Shingon-Kloster umgewandelt wurde, überrascht durch ihre Größe bzw. Weitläufigkeit, wobei ganz aus Holz bestehende Wandelgänge die einzelnen Gebäude miteinander verbinden. Die meisten Gebäude können nur vor außen eingesehen werden, so auch die mit dem prächtigen Malereien geschmückten Räume. Die Schönheit der gut erhaltenen Wandmalereien der Kano-Malschule hat uns besonders beeindruckt. 
 
Malereien der Kanoschule kann man u.a. auch im Nijo-Schloss in Kyoto bewundern, allerdings herrscht dort Fotografierverbot. 

Farbmalerei auf Goldgrund mit typischer Thematik: rosa blühender Pflaumenbaum über einem Gewässer mit verschiedenartigen Enten. Deutlich sind die Abgrenzungen der Goldblättchen zu sehen. Der Goldgrund zeigt warme Abtönungen.
Farbmalerei auf Goldgrund mit typischer Thematik: rosa blühender Pflaumenbaum über einem Gewässer mit verschiedenartigen Enten. Deutlich sind die Abgrenzungen der Goldblättchen zu sehen. Der Goldgrund zeigt warme Abtönungen.  

Die weiß- und rosa blühender Pflaumenbäume mit Felsen und exotischen Vögeln sind ein bekanntes Werk der Kanoschule.
 Die weiß- und rosa blühender Pflaumenbäume mit Felsen und exotischen Vögeln sind ein bekanntes Werk der Kanoschule.  
 
Kaninchen als Farbmalerei auf Holz.  Dass die Holzrahmen von Schiebetüren bemalt wurden, kommt relativ selten in der japanischen Kunst vor.  
Kaninchen als Farbmalerei auf Holz. Dass die Holzrahmen von Schiebetüren bemalt wurden, kommt relativ selten in der japanischen Kunst vor.
 
Eine sehr realistisch erscheinende Darstellung einer Kaninchengruppe, ebenfalls auf einen    Holztürrahmen gemalt.   
Eine sehr realistisch erscheinende Darstellung einer Kaninchengruppe, ebenfalls auf einen Holztürrahmen gemalt.  
 
Ein symbolträchtiges und beliebtes Thema in Japan bzw. ganz Asien sind alte Kiefern und Kraniche als Symbol für Ausdauer und Langlebigkeit.
Ein symbolträchtiges und beliebtes Thema in Japan bzw. ganz Asien sind alte Kiefern und Kraniche als Symbol für Ausdauer und Langlebigkeit.  

 
Zart blühende Päonien hinter einer Felsformation. Die Felsformation ist wie eine chinesische Penjing-Landschaft gestaltet.
Zart blühende Päonien hinter einer Felsformation. Die Felsformation ist wie eine chinesische Penjing-Landschaft gestaltet.  
 
Sich über mehrere Schiebetüren ziehendes Motiv von Päonien mit Felsgruppe, die nach Vorbild traditioneller chinesischer Malerei gemalt wurde.
Sich über mehrere Schiebetüren ziehendes Motiv von Päonien mit Felsgruppe, die nach Vorbild traditioneller chinesischer Malerei gemalt wurde.    
 
erschienen in BONSAI ART 164 
 
Literaturhinweise: 
„Kyoto“, erschienen in der Buchserie „Wonders of Man“, deutsche Ausgabe Ebeling Verlag Wiesbaden 
„Shogun – Kunstschätze und Lebensstil eines japanischen Fürsten der Shogun-Zeit“, Ausstellungskatalog des Hauses der Kunst München, 1984  
„The Traditional Arts of Japan“, H. Baterson Boger, W.H.Allen & Company, London, 1964 
“Japan – Spirit & Form” von Shuichi Kato, 1994, ISBN 0-8048-1969-6,